CDU-Chef Friedrich Merz hat sich mal wieder in einer Talkshow blamiert. Nicht zum ersten Mal wiederholte er rechtsextreme Narrative, nicht zum ersten Mal stellte er dabei die politische Haltung über die Fakten. Doch es geht hier nicht nur um Lügen über die Zähne von Migrant:innen. Hinter Merzs Statement steckt ein weiterer Versuch der Diskursverschiebung nach Rechts, der die Tür für die AfD weit aufmacht. Denn eine Lösung für das scheinbare Problem bietet auch Merz nicht an. Man kann nicht einfach Leute abschieben, nur weil es Herrn Merz gerade so gefällt. Dagegen stehen moralische Gründe – aber eben auch rein pragmatische Hindernisse.
Ich habe langsam Angst davor, diese Frage ehrlich beantwortet zu sehen. Ich sehe, was um uns herum in Europa passiert, ich sehe, was in Deutschland passiert. Ich glaube, in den nächsten zehn Jahren wird Frontex einen Schießbefehl bekommen. Jedenfalls, wenn die EU weiter die Debatte über Fluchtursachen in dieser Form verweigert. Und wenn so viele Länder auch noch Integration verweigern.
Wir könnten eigentlich mit ernst gemeinter Hilfe bei der Klimaanpassung, Hilfe beim Aufbau moderner Gesellschaften und fairerem Welthandel jede Menge Flucht verhindern. Aber dazu müssten wir hier in unseren Gesellschaften mal anfangen, Ursachen zu diskutieren, anstatt uns darüber aufzuregen, wie schlecht die Menschen sind, die hierher kommen.
Wir sehen gerade, wie Europa und seine Ideen aus immer mehr Ländern in Westafrika gekegelt werden. Insofern stellt sich bei der Frage nach dem Aufbau moderner Gesellschaften auch die Frage, zu welchen Mitteln wir dafür bereit sind zu greifen. Unsere “Wettbewerber” sind bereit und willens, die Gesellschaften dort auch mit Gewalt nach ihren Vorstellungen zu formen. Ob es da bei uns mit ein paar schönen Schecks und warmen Worten getan ist, weiß ich nicht. Umgekehrt sehe ich auch nicht besonders viele Beispiele, wo es wirklich funktioniert hat, die Demokratie herbeizubomben. Insofern bin ich an dem Punkt tatsächlich ziemlich ratlos.
Ich glaube, ich verstehe zumindest zum Teil, was du sagst. Was ich allerdings nicht meinte, ist, dass westliche Länder sich in jeden Konflikt einmischen sollten. Vielmehr wäre es wichtig, Bildungssysteme, Gleichstellung und Zivilgesellschaften zu stärken und religiöse und populistische Einflüsse zurückzudrängen. Und zwar ohne, dass unbedingt ein konkreter Eigennutz angestrebt wird. Und auch ohne, dass ständig rechte Umstürze gestützt werden, bloß weil die demokratisch gewählte Regierung als zu links wurde. Westliche Firmen müssten zur Einhaltung konfliktfreier, nachvollziehbarer und fairer Lieferketten gezwungen werden – kurzfristig wäre es vielleicht etwas unangenehm für uns, wenn $Ölfirma oder $Bergbaufirma nicht das Gebiet eines kompletten Stamms enteignen und vergiften darf, aber auf längere Sicht werden solche lokalen Probleme sowieso unsere Probleme.
(Der aktuelle Hauptmitbewerber China arbeitet übrigens auch ohne Bomben, soweit ich das überblicke.)
Ob wir da so viel besser sind als China, wage ich zu bezweifeln. Die Umstürze in Afrika, die oben vermutlich gemeint sind, sind ganz klar gehen die Ex-Kolonialmacht Frankreich gerichtet. FR macht kein rühmliche Politik in Afrika und zwingt die Sahelstaaten in eine Zwangswährung CFA https://de.m.wikipedia.org/wiki/CFA-Franc-Zone wodurch die Sahelstaaten der wirtschaftlichen Willkür Frankreichs ausgesetzt sind und kaum eigene Wirtschaftskraft entwickeln. (Kleine Gedankenanregung: Warum sind die Schweizer im Urlaub reicher als wir? Wegen dem Wechselkurs der Franken)
Uns mehr engagieren in der Welt? Puuffhhmmja. Eigentlich liebend gerne. Aber die Politiker sind alle dann doch wieder Machtpolitiker und denken weniger an das Menschenwohl.
Ich bin da eher ein Fan von lokalen Bewegungen. Grass Root, Crowdsupport, Vernetzung. Aber alles langwierig und sehr vom Land abhängig.
Dann wirken die Narrative also. Deutschland nimmt mit Abstand die meisten Flüchtlinge auf (nur wenige Länder mit sehr kleiner Bevölkerung schaffen mehr pro Kopf und Deutschland ist auch noch vergleichweise groß). Im Jahr 2022 z.B. waren es in Relation zur Bevölkerung 0,15%… Fühlst du da schon die Panik in Flüchtlingen zu ertrinken? Wenn ja, dann liegt es nicht an den Fakten.
Das ist überhaupt nicht, was ich geschrieben habe.
Meine Angst bezieht sich darauf, dass die Debatte so krass zugespitzt ist, dass radikal menschenverachtende Lösungen wahrscheinlich werden, vor allem, wenn es bis 2050 tatsächlich 500 Mio. Geflüchtete weltweit gibt.
Wie viele neue Mitglieder aus einem anderen Kulturkreis eine Gesellschaft aufnehmen kann, halte ich für eine Frage, auf die es keine feste Antwort gibt. Wenn man neu in DE Ankommenden die Möglichkeit auf Arbeit gäbe und ihnen eine deutsche Patenfamilie zuordnet, sodass sofort Anschluss besteht, wäre mehr möglich. Politisch scheint der Diskurs aber in die Richtung zu beschränkt zu werden, dass man zwingend separate Unterbringung für Geflüchtete braucht, sodass kein Biodeutscher je mit ihnen interagieren muss.
(Meine Eltern hatten sich vor über einem Jahr auf einen Aufrauf der Stadt gemeldet, um ukrainische Geflüchtete aufzunehmen. Auch auf Nachfrage hat die Stadt sich danach nicht wieder gemeldet.)
Diese 500-Millionen-Prognose sollte viel deutlicher kommuniziert werden: Wenn wir es heute nicht mal schaffen, mit der derzeitigen Pillepalle-Situation umzugehen, dann gute Nacht!
Wir brauchen mehr Zusammenarbeit. Wenn nötig, totaler und radikaler, als wir sie uns heute überhaupt erst vorstellen können [tm]
Aber in der Politik finden sich (nicht nur in dieser Frage) nichts als Feiglinge die den Völkern nichts, aber auch gar nichts zutrauen.
Die Wahrheit könnte ja Teile der Bevölkerung verunsichern. Wirklich? Die Leute sollen verunsichert werden und Angst haben. Denn Angsthasen sind leichter manipulierbar als selbstbewusste informierte Bürger.
Aber da geht's ja schon los. Die Frage wird gar nicht erst gestellt. Stattdessen lassen wir uns von rechten Medien und Politikern Lügenmärchen erzählen, über die Masse von Flüchtlingen, die uns überschwemmt.
Also reden wir doch mal darüber, ob wir weniger als 0,2% zusätzliche Flüchtlinge im Jahr verkraften? Oh. Ja, stimmt. Die Zahl ist lächerlich. Also reden wir doch darüber, ob unsere Gesellschaft in ein paar Jahrzehnten das 10fache verkraftet? 1,5% der Bevölkerung. Oh, das wirkt dann immer noch nicht groß und bedrohlich genug und nicht wie eine ernstgemeinte Frage?
Tja, genau das ist aber die Realität. Wie werden mit Narrativen und Scheindebatten gefüttert, um eben eine negative Reaktion gegen Flüchtlinge und Ausländer allgemein herbeizureden, die von der Tatsachen und Zahlen in keinster Weise unterstützt werden. Deshalb lügt sich Friedrich Merz stattdessen eine Schwemme von Flüchtlingen, die das Gesundheitssystem blockieren, zusammen,
Natürlich müssen wir wahrscheinlich irgendwann über Zahlen reden. Aber aktuell sieht es so aus, dass wir den Punkt nie erreichen werden. Weil jetzt -wo die Zahlen ein schlechter Witz sind- geht's ja stattdessen schon nur um Schreckgeschichten und Märchen.
PS: Diese 500 Millionen sind aber auch keine lokalen gegrenzten Flüchtlingsströme auf Grund von Konflikten (wie z.B. gerade die bei uns ankommenden Menschen aus Syrien etc.). Wir reden hier davon ob, eine Welt mit 8 Milliarden+ dann sogar 5% aus unbewohnbar werdenden Gebieten verkraften kann. 5%…auch nicht jährlich -denn in den Gebieten werden keine nachwachsen- sondern über Zeiträume von Jahren oder einem Jahrzehnt und mehr.
Und nenn mich verrückt. Aber ja. Ich denke das ist möglich. Aber dafür müssen wir die ganzen Lügner, Märchenerzähler und Populisten loswerden und endlich anfangen vernünftige Methoden der Integration zu entwickeln. Jetzt, wo es in Wirklichkeit sehr überschaubar ist und nur völlig anders dargestellt wird.
Das Blöde hier ist, dass das erstmal zu mehr Flucht führt. Fliehen ist teuer, eine positive wirtschaftliche Entwicklung führt also dazu, dass Menschen überhaupt erst fliehen können. Erst ab einem noch deutlich höheren Entwicklungsstand nimmt die Flucht dann wieder ab.
Wieso sollten Menschen fliehen, obwohl ihre Gesellschaft ausreichend Sicherheit bietet und sich (langsam) mehr Perspektiven auftun? Die meisten Menschen sind, glaube ich, relativ verwurzelt.
Du schreibst es ja selbst: langsam. Die Menschen, die aus ökonomischen Gründen migrieren, sind tendenziell jung und möchten nicht bis ins hohe Alter warten, um einen westlichen Lebensstandard zu haben.
Ich rate hier nicht. Der Effekt ist nachgewiesen.
https://taz.de/Debatte-Fluchtursachen-in-Afrika/!5335468/